Nach zwei Kantersiegen in Folge (fast) aller Abstiegssorgen ledig

Dem 6:2 in Wiesbaden ließ Neubergs Zweite ein 6,5:1,5 über die VSG Offenbach folgen

(fjd) “Jetzt wird es langsam Zeit zu punkten!”. Diese Aufforderung von Teamchef Christian Lehnert nach dem deprimierenden 3:5 beim zugegeben sehr spielstarken FTV 1860 Frankfurt samt dem Absturz auf den zehnten und letzten Tabellenplatz der Hessenliga hatte offenkundig ihre Wirkung nicht verfehlt. 

Aus den nachfolgenden Begegnungen gegen den mit 6:0 Punkten in die Saison gestarteten Neuling SV Wiesbaden II (6:2) und gegen den leicht favorisierten Reviernachbarn VSG Offenbach (6,5:1,5) schnappte sich Sfr. Neuberg II 12,5 von 16 möglichen Brettpunkten – für ein Team, dass zuvor die Rote Laterne im Rucksack mitschleppen musste, eine eher unübliche Erfolgsbilanz. Aus 3:9 Punkten nach dem sechsten Spieltag wurden 7:9 Punkte nach Runde acht – samt dem Tabellensprung aus dem muffigen Kellergewölbe heraus in das feine Appartement in der fünften Etage. Da in Hessens höchster Spielklasse nur der Tabellenletzte in sauren Abstiegsapfel wird beißen müssen, benötigt Neuberg II am letzten Spieltag maximal einen Brettpunkt (nicht Mannschaftspunkt) beim aktuellen Letzten SV Griesheim, sofern alle anderen Resultate maximal gegen uns laufen.

Da ich selbst in Wiesbaden-Biebrich nicht mit von der Partie war, möchte ich mich in meinem Bericht ganz auf den Neuberger Heimauftritt gegen die VSG Offenbach fokussieren.

Sfr. Neuberg II – VSG Offenbach 6,5:1,5

Vor dem Match hätte ich persönlich ein 4:4 gegen den Bezirksrivalen aus der Lederstadt mit Kusshand genommen und angeregt, den Gästen selbiges nach der dritten Stunde und halbwegs offenen Partien auch anzubieten.

Als Offenbach jedoch in Rüdigheim ohne mehrere etablierte Stammkräfte (außer Zweitbrettspieler FM Goreacinic fehlten noch Ulrich Sandten und der oberligaerfahrene VSG-Haudegen Holger Roosen, die nicht adäquat ersetzt werden konnten) den Kampf eröffnen musste, hatte ich die leise Hoffnung, dass vielleicht noch etwas mehr möglich ist. Allerdings mussten auch wir unseren Nachwuchs-Crack Emil Eull und Niklas Iwanziw ersetzen, hatten nichtsdestotrotz aber an den beiden letzten Brettern klare DWZ-Vorteile. 

Nach knapp dreieinhalb Stunden waren die ersten drei Partien beendet. Christian Lehnert musste sich als Nachziehender am dritten Brett des aggressiven Aufbaus von Fide-Meister Dr. Hans-Jörg Cordes erwehren. In der aktuellen Mode-Variante 1. d4 Sf6 2. Sc3 d5 3. Lf4 – einem Mix aus Veressov-Angriff und “Londoner System” – hatte Christian sich allzu früh für die kurze Rochade entschieden und seinem Gegenüber Angriffsperspektiven am Königsflügel überlassen. Besagter Angriff wäre bei präzisem Spiel wohl durchgeschlagen (laut Stockfish: + 3,5 für Weiß), doch in der Position 

verfügte Christian über den taktischen Trick 19… Se4+ ! 20. fe4: De6: , wodurch urplötzlich nicht der schwarze, sondern der weiße Monarch in die Bredouille geriet. Christian gab sich einige Sequenzen später – womöglich unter dem Eindruck des bisherigen Spielverlaufs – mit der Punkteteilung durch Dauerschach zufrieden.

Ebenso mit einem Unentschieden endete kurz darauf am Nachbarbrett Franks Partie (also meine) gegen Offenbachs Thorsten Müller, der wegen seines Augenleidens auf einem separaten Blinden-Schachbretts samt Blinden-Schachuhr (die akustische Signale über den Zeitverbrauch gibt) den Wettkampf aufnahm. Zwar war ich auf Thorsten absolut nicht vorbereitet (es fehlten – wie oben erwähnt – zwei vor ihm gemeldete Stammkräfte), konnte nichtsdestotrotz jedoch im Klassischen Franzosen (1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Lb4 usw.) die ersten dreizehn Züge quasi runterblitzen, da ich das daraus entstehende endspielartige Mittelspiel in einigen frühere Wettkampf- bzw. Schnellschachpartien auf dem Brett hatte. 

Leider waren mir einige versteckte Ressourcen für Weiß -basierend auf dem aktiv postierten weißen Turm auf h8 – entfallen (jetzt weiß ich sie wieder !), sodass ich für meinen 16. Zug 45 Minuten Bedenkzeit verbrauchte, ohne etwas Greifbares herauszuholen. Nach 30 Zügen bot ich in dem objektiv ausgeglichenen Turm-Springer-Endspiel remis an, beide Parteien hatten in der Schlussstellung etwa noch 17-20 Minuten Restbedenkzeit auf der Uhr (1:1).

Kurz darauf konnte Norbert Heck am achten Brett Vollzug melden. Seine Partie gegen den 15-Jährigen VSG-Nachwuchsspieler Florin Werner – dem jüngsten Spross aus einer vierköpfigen Schachfamilie – glich allerdings einer Achterbahnfahrt mit Anschnall-Pflicht für alle Beteiligten. Bereits vor dem zehnten Zug schien Florin nach einem lehrreichen Eröffnungsfehler im Slawischen Damengambit positionell aussichtslos ins Hintertreffen geraten zu sein (nach 1. d4 Sf6 2. Sf3 d5 3. c4 c6 4. Sbd2 Lf5 5. Sh4 Lg6 6. Db3 entschied sich Schwarz für den scheinbar logischen, aber fehlerhaften Zug 6… Db6 – richtig 6… Dc7 !, wodurch der Anziehende mit 7. Dh3 ! über die Doppeldrohung 8. Dc8+ und Sg6: verfügt, weil der h-Bauer gefesselt ist).

Nach 7. Dh3 Sbd7 8. Sg6: fg6: durfte sich alsbald die weißfarbige Dame auf e6 einnisten und den schwarzen e7-Bauern blockieren, wodurch der schwarze Königsflügel mit dem eingemauerten Lf8 und Th8 an einen altägyptischen Sarkophag erinnerte. Unter Preisgabe eines Bauern kam Schwarz immerhin zur langen Rochade nebst Kc8-b8 und Dc7-c8, doch entschied sich Norbert zur Überraschung des staunenden Fachpublikums nicht für den vereinfachenden Damentausch (was er sonst gefühlt in jeder Position tut !), sondern ließ sich mit 18. De6-f7 ? – statt De6xc8 ! mit relativ leichtem Gewinn auf Abenteuer ein. Abenteuer deswegen, weil Florin urplötzlich drohte, die weiße Dame einzufangen, wodurch die Achterbahn mit einem Schlag 50 Meter in die Tiefe stürzte (von + 3,0 auf -2,0) und Norbert einen Springer abtreten musste, um seiner Dame die Rettungsgasse zu bahnen.

Statt die Figuren auf dem Brett zu halten und mit Mehrfigur (gegen drei Bauern) sein Heil im Angriff zu suchen, blieb Schwarz im Vereinfachungs-Modus hängen (gegen Norbert im Grunde immer ein Übel !) , sodass nach dem aus schwarzer Sicht fehlerhaften Damentausch die drei verbundenen weißen Freibauern am Königsflügel ins Rollen kamen. Nach einem pointierten Qualitätsopfer hätte Norbert seine (mit Ausnahme des 18. Zuges) überzeugenden Vortrag in der Position 

mit der traumhaften Pointe 42. Tf8 !! Tf8: 43. g7 ! nebst forcierter Umwandlung in eine Dame krönen können. Stattdessen folgte der mit 42. g7 ? Th7: 43. g8D Tg8: 44. Th7: der müde Übergang in ein Turmendspiel mit Mehrbauer, der allerdings objektiv nicht zu verwerten ist, sodass die angeschnallten Passagiere der Achterbahn auf halber Höhe ausharren mussten.

Letztlich durften dann aber doch alle wieder aussteigen, da in der finalen Position

Florin mit einem unkonzentrierten Zug den halben Punkt endgültig wegwarf. In diesem Turmendspiel hält wahlweise 58… Tc8-b8 oder 58… Tc8-a8 problemlos Remis, da aufgrund der Seitenschachs den schwarzen Turms die weiße Partei keine Möglichkeit hat, Fortschritte zu machen. 59. g5 ?? kostet nach Schachgebot auf der vierten Reihe den Turm, während auf 59. Kg5 Tg8+ 60. Kh5 Th8+ 61. Kg6 Tg8+ folgen wird und Weiß kann keinen alternativen Königszug machen, ohne seinen letzten Bauern zu verlieren.

Tatsächlich gespielt von Schwarz wurde stattdessen der lehrreiche Fehler 58… Tg8 ?? (mit der löblichen Absicht, Kg5 zu verhindern, was aber – wie oben erwähnt – gar nichts droht !) 59. g5 ! (jetzt möglich, ohne das Turmschach auf a4 !) 59… Th8 60. Tf6+ Ke7 61. Kf5 Th1 62. Kg6 Tg1 63. Tf2 ! Tg3 64. Kh6 Th3+ 65. Kg7 Tg3 66. g6 und der freie g-Bauern erreicht die Umwandelung, da der schwarze König abgeschnitten bleibt (2:1 für Neuberg). Puh….

Spätestens mit dem unmittelbar darauffolgenden Schwarz-Sieg von Adam Baranyai am fünften Brett sahen die Gäste aus Offenbach ihre Felle davonschwimmen. Im Leningrad-Holländer wollte Offenbachs Michael Höhn dem schwarzen König mit einem Läuferopfer auf h6 an den Kragen, was auf dem ersten Blick recht chancenreich aussah (schließlich war Adam nach eigener kurzer Rochade sämtlicher Schutzbauern beraubt),

sich bei näherem Hinsehen jedoch als inkorrekt erwies, da nach 13… Tf6 ! 14. Dh7+ Kf8 15. Lg6 Le6 dem Angreifer der Sprit ausging. Dessen Versuch, die beiden bis dahin untätigen Türme in die Schlacht zu werfen, kosteten Zeit, die Adam dazu verwendete, eine Schwerfiguren-Batterie auf der f-Linie zu installieren und per Springergabel weiteres Material zu erobern (0:1, 25. Zug). Interessanterweise hatten Michael und Adam für die 25 Züge dieser Partie mehr Bedenkzeit investiert als Norbert und Florin für die insgesamt 71 Züge am achten Brett, sodass die von mir skizzierte Chronologie durchaus der Realität entsprach. Zwischenstand 3:1 für Neuberg.

Alle übrigen Partien gingen über die vierte Stunde hinaus, wobei sich an drei weiteren Brettern längst der Erfolg für uns abgezeichnet hatte. Relativ unspektakulär verlief Aaron Knickels Gewinnpartie gegen den gefährlichen Lothar Trumpp. In der Englischen Symmetrie-Variante (1. g3 g6 2. Lg2 Lg7 3. c4 c5 4. Sc3 Sc6 usw.) entschied sich der Offenbacher sinnvollerweise für die igel-typische Bauernformation b6-d6-e6 , die ihm bis zum 25. Zug ein sorgloses Leben verschaffte:

Um im Gewinnsinne Fortschritte machen zu können, muss der Anziehende versuchen, c4-c5 durchzudrücken, um nach Generalabtausch einen Freibauern auf der b-Linie zu kreieren. Diesem Ansinnen hätte Lothar jedoch mit der naheliegenden Fortsetzung 25… Tfc8 einen Riegel vorschieben können bzw. müssen, stattdessen schaffte er sich mit 25… Ta5 ?! 26. c5 ! unnötigen Ärger ins Offenbacher Haus. Nach b6xc5 bekam Aarons Freibauer auf der b-Linie Siebenmeilenstiefel, sodass nach zwölf weiteren Zügen dessen Umwandlung auf der Agenda stand (4:1). 

Stark unter Druck stand Robert Bethke, der sich als Nachziehender am Spitzenbrett gegen Wolfgang Jakel (DWZ 2256 ) “russisch” verteidigte (1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Se5: d6 4. Sf3 Se4: usw.). Eine schwerwiegende Entscheidung musste Robert nach 13. Sf3-g5 ! treffen, der den Punkt h7 und damit den schwarzen König auf direktem Weg ins Visier nahm.

13… h6, 13… g6 oder 13… f5 sind hierbei die Kandidatenzüge und schöne Gefühle im Bett löst keine dieser Möglichkeiten aus. 

Bei 13…g6 liegen rochadeangriff-typische Einschläge wie 14. Sh7: Kh7: 15. Dh5+ (der g6-Bauer ist gefesselt !) Kg7 16. Dh6+ nebst Dg6: in der Luft, die spätestens dann zum Mattangriff führen, wenn es Wolfgang gelingt, eine seiner Türme auf der dritten Reihe in Stellung zu bringen (Tf1-e1-e3-h3 oder Tb1-b3 nebst c4).

Nach 13… h6 könnte es nach 14. Sh7 Te8 15. Dh5 wird Weiß gewiss über Lc1xh6 nachdenken, sodass sich Robert nach dem Ausschluss-Prinzip der Variantenberechnung schweren Herzens zu 13… f7-f5 entschloss, was natürlich dem völlig unschuldigen Lc8 eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung einbrachte, über dessen Begnadigung erst nach dem Hinscheiden der schwarzen Bauern auf d5 oder f5 verhandelt werden kann. 

Weiß stand in der Folge somit positionell und vermutlich auch taktisch auf Gewinn, fand aber den direkten Ausheber nicht. Kurz vor dem 40. Zug versandete die weiße Initiative vollends, wobei mich persönlich etwas verwunderte, dass Wolfgang, den ich in früheren Jahren als “Alles oder Nichts”-Streetfighter in Erinnerung hatte, beinahe willenlos in ein Turmendspiel mit ungleichen Läufern überleitete, statt zumindestens die Damen auf dem Brett zu behalten (remis im 49. Zug). 

Die vom Niveau her beste Partie spielte Jens Koller am zweiten Brett gegen den 130 DWZ-Punkte “schwereren” Kroaten Domagoj Patarcic (DWZ 2206). Letztgenannter steckte aus der Nimzowitsch-Eröffnung (1. e4 Sc6 2. d4 d5 3. e5 Lf5 usw.) heraus, die auch der Verfasser dieser Zeilen im Repertoire hat, bereits vor dem zehnten Zug einen Zentralbauern für kurzzeitige Initiative ins Geschäft. Jens kombinierte geschickt Verteidigungsideen mit vereinzelten offensiven Nadelstichen und konnte schließlich seinen Mehrbauern bis ins übersichtliche Turm-Springer-Endspiel transferieren.

Für den umwandlungswilligen g6-Bauern musste Schwarz wenige Augenblicke später seinen Turm preisgeben, kostete das Endspiel T + S gegen S + ungefährlichen a-Bauern noch bis zum 60. Zug aus, was Andreas Muth am siebten Brett die Möglichkeit verschaffte, seine ebenfalls 60 Züge fassende Partie etwas früher zu beenden.

Ähnlich wie Robert war auch Andreas (er mit Königsindisch) in der Eröffnung auf glattem Parkett ausgerutscht, seine Position um den 20. Zug erscheint äußerst kritisch, da Weiß in Person von Matthias Lützen nach druckvollem Beginn sowohl am Damenflügel als auch am Königsflügel initiativ werden konnte:

Sanftmütige Positionsspieler mit einem Faible für den Damenflügel würden hier mit 20. Tc6 ! Tc8 21. Dc2 vermutlich dauerhaft die c-Linie in Beschlag nehmen, da Schwarz wegen des auf c6 entstehenden Freibauern kaum auf c6 wird tauschen können. Personen, die eher dem Neandertaler mit Keule nacheifern, könnten auf den ebenfalls nicht völlig abwegigen Gedanken kommen, f3 nebst Dd2-h2 zu probieren und so auf direkten Weg Richtung h7 in die Gemächer des schwarzen Monarchen einzudringen.

Glücklicherweise – aus Gastgebersicht – verfolgte Matthias keines dieser Absichten (gespielt wurde stattdessen 21. De3) und Schwarz kam in der Folge zu starkem Druckspiel am Damenflügel, welches ihm nach diversen Vereinfachungen ein Doppelturmendspiel mit einem Materialkoffer voller schwarzer Mehrbauern einbrachte, die die Partie entschieden (Endstand: 6,5:1,5).